Rotlichtmagie
Werden Ursula Bohren Magoni und Claudio Magoni zu einer Ausstellung eingeladen,
gehen sie nicht ins Atelier, um eine passende Arbeit auszusuchen. Zuerst
lassen sie den Ort auf sich einwirken: im Freien die Landschaft, im öffentlichen
Raum die Örtlichkeit, in der Kunsthalle die räumliche Situation und die
Umgebung. Ihr Schaffen wird nicht vom Reiz der Materialien, einer bestimmten
Form, einer als Stil erkennbaren Handschrift bestimmt, sondern durch gemeinsam
ausgedachte, erarbeitete ortsbezogene Projekte. Im subtilen und fantasievollen
Eingehen auf eine bestehende Situation, die sie mit ganz unterschiedlichen
Mitteln verändern, um so immer wieder andere akustische und optische Erlebnisse
auszulösen, lassen sie den Ort einmal anders sehen. Die Eingriffe bestehen
nicht in einem rein intellektuellen Konzept, die ausgeführte Idee vermittelt
durchaus sinnlich wahrnehmbare Erlebnisstrukturen, die zu weiterführenden
Gedanken Anregung geben.
In der Kunsthalle vermitteln Ursula Bohren Magoni und Claudio Magoni durch
die verändernden Eingriffe im Raum spezielle Wahrnehmungsmöglichkeiten,
eine Art von Erlebnis mit mehrschichtig assoziativen Ebenen. Die Mittel
dazu bilden Farbe und Licht. Mit roter Filterfolie sind die Fenster der
Halle abgedeckt, zwei Kabinen aus rotem Acrylglas stehen zwischen den
Pfeilern. Sich überlagernde Licht- und Bildprojektionen erweitern die
Architektur um eine virtuelle Dimension. Wer die Halle betritt, taucht
ein in die Atmosphäre eines sanften Rotlichts. Als Raum im Raum lassen
die transparenten Kabinen von innen heraus den grossen Umraum in veränderten
Farben sehen- für die Betrachter draussen bilden die besetzten Raumzellen
eine zusätzliche Facette der ganzen Licht-Rauminstallationen. Sie werden
zu einem belebten Objekt der Inszenierung. Dazu gehören zwei rot aufgenommene
Videofilme, zusammen den Blick in ein Augenpaar bildend, das zehn Minuten
lang festgehalten wurde. Von der Wand schauen zwei rote Augen den Betrachtenden
an. Mit Sehen hat die Gestaltung sehr viel zu tun, ebenso mit Fühlen.
Wie Musik vermag Farbe direkt unsere Gefühlswelt zu beeinflussen, angenehm
wohltuend entspannend oder auch negativ wirkend. In rotes Licht getaucht,
wandelt sich der nüchterne Bau in eine ganz spezifische Welt der Sinneswahrnehmung,
zu deren Eigenschaften es auch gehört, ein Netz an Bezügen aufzuweisen,
welch die Grenzen des real gegebenen Raumes überschreiten. Mannigfach
sind die Verbindungen und Anspielungen nach draussen, nach jener Lebenswelt
, aus der die Besucher soeben gekommen sind. Die Umwandlung wirkt aber
auch nach aussen. Des Nachts werden Fensterfronten von innen beleuchtet.
Sie erhalten Signalwirkung, wecken die Aufmerksamkeit der Passanten. Wer
nach dem Eindunkeln die Kunsthalle betrachtet, sieht rot. So wird das
Gebäude selbst zum gestalteten Werk, das mit seinen rot leuchtenden Fensterreihen
Irritation ausläst und Fragen aufwirft – erst ein Besuch der Installation
vermag mögliche Antworten zu geben.
Kaum
eine Farbe ist so intensiv vieldeutig wie ’Rot’. Zuerst einmal ist es
die deutsche Bezeichnung für die Farbempfindung, die durch Licht mit Wellenlängen von etwas 590nm bis zum langwelligen Ende des Spektrums
hervorgerufen wird. Rot ist die Farbe des Blutes, in dem das Leben eines
jeden Lebewesens liegt, der Leidenschaft und Sinnlichkeit, der Liebe,
des Herzens sowie der Macht, Ehre und Würde. Umgangsprachlich bedeutet
’rot sehen’ den Ausbruch einer unkontrolliert heftigen, rein emotionalen
Reaktion. Gleichzeitig ist Rot aufgrund der Assoziation mit dem Feuer
sowohl Prototyp der warmen Farbe als auch Signalfarbe, die auf Gefahren
hinweist und beim Lichtsignal Stop heisst. Das Rotlichtviertel steht für
das Verbotene, wo die Leidenschaften glühen, bei gedämpften Licht das
Blut in Wallung gerät, für den Rausch jeglicher couleur. Hierher gehören
auch die am adäquatesten rot gespritzten
Sportwagen. Im Kosmischen erinnert Rot an die Gluten der auf- und untergehenden
Sonne, die metaphorisch auf das Leben bezogen wird.
Ursula
Bohren Magoni und Claudio Magoni lassen uns in ihrer Inszenierung nicht
nur Rot sehen und fühlen, sie lassen uns eintauchen ins Denken und Erleben
von Farbe und Licht und teilhaben an der Umwandlung von Alltagsraum in
die Sphäre der Erinnerung und Imagination. Hier hat der Stierkampf seinen
Platz, die Revolution, die rote Zora und das Alpenglühen, der Herbst mit
den Bernerrosen. Rot sehen führt durch Geschichte, Politik Kosmos und
zurück in uns selbst und dabei ist die Inszenierung ganz sachlich, eher
intellektuell angelegt. Rot beflügelt
die Fantasie und lässt in jene Gebiete blicken, wo es kein Halten gibt,
no trespassing nicht existiert, wo alles möglich ist und Gefahren unbeschadet
überstanden werden, in den imaginären Raum der Kunst .
Katalogtext, Frank Nievergelt, Konservator Kunsthalle Wil |